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Das Glück des Dieners
"Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sie sehen
sehr müde aus", sagte der Diener.
"Wundert Sie das? Die Verantwortung für den Erfolg des gesamten
Unternehmens ruht auf meinen Schultern. Alle schauen zu mir auf, wollen
meine Entscheidung. Ich sehe niemanden, der einstehen will, nur Zweifel
und Kleinmut bekomme ich zu hören. Wie soll ich da nicht selbst zweifelnd
und kleinmütig werden?"
"Noch eine Tasse Kaffee zur Stärkung?"
"Ja, Sie haben recht, einen Kaffee noch. Manchmal sind es die kleinen
Dinge, die einen einfachen Menschen Großes vollbringen lassen."
Der Diener verschwand im Nebenraum. Er nahm die Kaffeekanne von der Wärmeplatte,
zögerte, setzte sie wieder ab. Durch die Tür betrachtete er
seinen Herrn, der in sich zusammengesunken im Sessel ruhte. Einerseits
genoss der Diener das Vorrecht, dass sich dieser Mann nur in seiner Gegenwart
gehen ließ. Andrerseits war es ihm unerträglich, dass sein
Herr von den Umständen und Widrigkeiten so niedergedrückt wurde.
Der Diener holte ein Emaille-Döschen aus seiner Brusttasche. Vorsichtig
schnippte er etwas von dem Pulver in die Kanne und rührte kräftig
um. Dann schenkte er den Kaffee ein.
Er servierte und zog sich an die Tür zurück, von wo er die Wandlung
der schlaffen, resignierten Gestalt zu einem Mann voller Tatkraft und
Entschlossenheit beobachtete.
Der Diener lächelte in sich hinein. Ohne dieses "Wunderpulver"
wäre sein Herr sicher längst zusammengebrochen, hätten
sich Chaos und Anarchie breit gemacht. Es war das Schicksal eines Dieners,
nie für seinen Anteil am Erfolg gerühmt zu werden, und doch
wünschte er sich nichts anderes als dieses stille Glück, ganz
allein um seinen Anteil an der Sache zu wissen.
In der anschließenden Besprechung verwirrte des Dieners Herr die
Teilnehmer mit der Bemerkung, man solle den Männern Bohnenkaffee
schicken, dann würde ihre Kraft nie erlahmen. Wie üblich wurden
solche realitätsfremden Aussagen ignoriert und nicht als Anordnung
verstanden. Nicht ignorieren konnte man in der Runde, dass es trotz aller
vorgebrachter Argumente und Widerstände beim Befehl des Führers
blieb: Die sechste Armee hatte unter allen Umständen in Stalingrad
auszuharren.
Anmerkungen:
Die Geschichte entstand für einen Wettbewerb des Literaturcafés. Wenn ich mich recht erinnere, durfte sie nicht länger als zwei Seiten sein und sollte thematisch mit dem Satz "Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?" oder einem ähnlichen verknüpft sein. Da ich mich damals sehr intensiv mit Hitler beschäftigt habe, kam diese Geschichtsfälschung dabei heraus, denn zu Zeiten von Stalingrad trank Hitler nur noch Tee. |
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