2. Wir bauen eine Fesselung
Hulahupp, meine lieben Brüder und Schwestern,
nachdem wir nun wissen, was eine Fesselung ist, folgen in diesem und dem nächsten Kapitel ein paar taktische Basteltipps. Zu diesem Behufe (ui!) kramen wir ein bisschen in unserem Werkzeugkasten, und da, unter dem Fach für versehentlich abgesägte Fingerglieder, müssten die Schupper liegen (kommt von schuppen, z.B. wenn beim Fußball ein Spieler einen anderen wegschuppt, dann pfeift der Schiri, und wenn der Schupper dann fragt, was er denn gemacht hat, dann sagt der Schiri: Sie haben geschuppt.), offiziös Hinlenkung genannt.
Für den Fesselungsbau gibt es Schupper in zwei Standardausführungen, je nachdem was geschuppt wird: die Zielfigur oder das Fob. Schuppt man ein Fob zwischen Langfinger und Ziel, dann ist es meist in kürzester Zeit so platt wie eine Rinderhackscheibe zwischen den beiden Brötchenhälften des berühmtesten aller Gaumenkleber. Daher nennt man diese Form der Hinlenkung auch Duisburger (Duisburger?). Wird jedoch die Zielfigur hinter ein Fob geschuppt wie ein Kinobesucher vom Platzanweiser auf seinen Platz hinter einem Zweimeterzwanzig-Typen, läuft das wegen der gleichsam miesen Aussichten unter der Bezeichnung Kino-Kombi.
Bevor Sie jetzt aber in den nächsten Laden stürzen, weil Ihnen eine der beiden Versionen fehlt, warten Sie erstmal den Schluss dieses Kapitels ab. Dort stelle ich die Luxuskombination der beiden Standardschupper vor. Das lohnt sich vielleicht noch mehr. Und nun genug geschwafelt, werden wir brutal.
Dia 13:
Kotow - Botwinnik
UdSSR 1939
dia 13
Winni knüppelte den Bg2 um 1. ... Dg6xg2+. Kotow hätte gern zähneknirschend mit 2.Df2xg2 geantwortet, nur gab es da ein Problem. Das Problem war Kotows Gegner aus der zweiten Runde. Dieser Typ hatte in einer ziemlich miesen Stellung plötzlich einen derartig guten Riecher bei seinen Zügen entwickelt, dass die Partie tatsächlich noch umkippte. Solche Niederlagen sind bitter, doch Kotow hatte diesmal – wie man so sagt – überreagiert. Sein Gegner konnte zwar zur nächsten Runde wieder antreten, kaum behindert durch den dicken Verband um die Nase, aber um weitere Vorfälle dieser Art auszuschließen, lag Kotows Gebiss in einem Wasserglas auf dem Tisch des Turnierleiters, und das gab es erst nach ordnungsgemäßer Beendigung der Partie zurück.
So malmte Kotow bei 2.Df2xg2 nur ein wenig mit den Lippen aufeinander, und seine Gratulation an Winni nach 2. ... Te8xe2 war herzlich, wenn auch unverständlich. Als er anschließend sein Gebiss zurückbekam, hatte Kotow seine Lektion gelernt: Mit Anstand zu verlieren zahnt sich doch aus.
Dies war der Grundtyp eines pappigen Duisburgers (Duisburger?): Ein Fob wird in eine Fesselung gelinkt, ein schneller Biss, und die Sache ist gegessen. Natürlich gibt’s Duisburger (Duisburger?) auch mit etwas mehr Firlefanz, obwohl das Grundprinzip immer gleich bleibt, vom furchtbaren Nachgeschmack ganz zu schweigen.
Dia 14:
Romanischin - Poutiainen
Eriwan 1976
dia 14
Weiß stellte seine Dame nach g6 und der Finne die Uhr ab. Unmittelbar einsichtig ist, dass 1. .... f7xg6 mit 2.Sd5-f6 ein Doppelschachmatt der übelsten Sorte nach sich zieht. Der f-Bauer darf also nicht aus der Diagonale des Lc4 raus. Ist er deshalb gefesselt? Nö. Wie man dem Wortschwall gegen Ende des letzten Kapitels entnehmen kann, müsste er vom Läufer angegriffen sein, ist er aber nicht. Awerbach nennt so etwas eine Drohung zweiter Ordnung. Dieser Versuch, die Schachsprache zu verbeamten, sollte eigentlich mit Formulare ausfüllen nicht unter 1000 Stück bestraft werden.
Doch zurück zu 1.De4-g6. Wegen der Fesselung des Lg7 droht 2.Sd5-f6+ mit damlichem Verlust. Von daher böte (böte?), ja, böte sich 1. ... Lb7xd5 2.Lc4xd5 Dh4-e7 an – böööööte –, dann kommt es jedoch zum klassischen Fall eines Duisburgers (Duisburger?) durch Austausch des Fobs: 3.Tf1xf7 Tf8xf7 4.Td1-f1 oder die Dame muss sich verhackstücken lassen: 3. ... De7xf7 4.Ld5xf7+ Tf8xf7 5.Td1xd6 Damit ist auch klar, warum der Finne die Uhr abstellte; dieses Böte kann verdammt nervbötend sein.
 
Jetzt folgt eine Premiere. Live und ungeschnitten kommentiert mein großer Bruder mal ein Dia:
 
„Das nächste Dia stellt die Überlandleitung vom Duisburger zur Kino-Kombi dar.“
(Wattis datten fürn Satz? Scheiße Mann, datt fängt ja gut an. Datt macht mich abba auch ganz fickrich, datter Eddi nonich da is. Eddiiiiiii! Ja da bisse ja. Wo kommße denn jetz her, ey?
Wie, du weiß nich, wode hin muss? Datt gibs do gar nich, Nu Joark 47, Partie gegen Auwalla oder so.
Watt du weiß nich wiede dahin kommß? Datt kann doch wohl nich wahr sein. Ab innen Zeitzuch, Mann. Sieh zu, datte Land gewinnz, sonnz werd ich fuchtich.
So. Kannet jetz losgehn? O.K., Dia ab.)
Dia 15:
Eduard Lasker - Aualla
New York 1947
dia 15
„In diesem Schlussspiel von Eduard Lasker, übrigens nur sehr weitläufig verwandt mit dem großen Emanuel Lasker, kam wieder einmal die alte Weisheit ‚Es gibt kein Schach außer man gibt es’ zur Geltung. In diesem Sinne zog Weiß 1. ....“
(Eddy? Eddy! Du bis dran. Wie, du weiß nich mehr, watte gezogen has? Junge, mach mich nich fuchtich. Et gibt kein Schach außer man gibtet. Hasse doch eben gehört, oder nich?
Klasse Eddy. Gleich beim ersten Mal gefunden. Jetz nommehr Haferbrei essen, dann hörße au widda gut.)
„In diesem Sinne zog Weiß 1.Dg4-a4+. Da sowohl 1. ... Se7-c6 2.Da4xc6 Dc7xc6 3.Td1-d8 Matt als auch 1. ... Ke8-f8 2.Lg5-h6+ Kf8-g8 3.Da4-e8 Matt in die Kategorie ‚Nicht empfehlenswert’ gehören, war Schwarz zu 1. ... Dc7-c6 gezwungen. Nach diesem Duisburger (Duisburger?) ließ Eduard Lasker eine Kino-Kombi vom Stapel: 2. ... .“
(Eddiiiii! Ich spürs. Gleich werd ich fuchtich. Datt war datt letzte Ma, datte in datt Buch reingekommen bis.
Watt du has’n großen Namen? Wenne nich gleich ziehs, dann hasse ’n großes Loch im Kopp, datt schwör ich dir inne Hand. Au Mann, nur mit Bekloppte hasse datt hier zu tun.)
„Eduard Lasker ließ also eine Kino-Kombi folgen: 2.Td1-d8+ Ke8xd8. Die Hinlenkung des Königs nach d8 nahm dem Se7 jegliche Beweglichkeit, befreite die Dame von ihrer Fesselung sowie der Sorge um eine anständige Altersversorgung: 3. ... .“
(Oh mein Gott. Jetz isses passiert. Ich werd fuchtich. Haltet mich fest, bevor ich diesem PIEP sein PIEP in sein PIEP stoppe. Aaaarrrh...)
STOP!
Das war wohl nichts. Ich hätte es vorher wissen müssen. Wenn’s nicht läuft, dann hat mein Bruder ein furchtbar fragiles Nervenkostüm. Na ja, dieses Dia war eh das einzige, das er kommentieren durfte. Vergessen wir die Sache und kommen zur Kino-Kombi pur.
Die erste ist äußerst simpizil: Der König wird, wie es sich für eine Kino-Kombi gehört, auf das Zielfeld geschuppt, und der dadurch gefobte Turm darf sich gleich im nächsten Zug von seinen Lieben verabschieden. Das Beispiel ist wirklich so einfach wie es sich anhört, trotzdem – irgendwie hat es was.
Dia 16:
Polugajewski - Hort
Manila 1976
dia 16
Polugajewski hat malocht wie eine Ochsenschwanzsuppe, um diese Stellung zu erreichen. Inzwischen veranstalten Schweißperlen Abfahrtsrennen auf seiner Stirn. Doch jetzt ist es endlich so weit, denkt Hort und zwinkert seinem Turm zu. Der versteht seinen Boss auch ohne Worte. Er hebt von e8 ab, schwebt wie eine Primaballaballa über die e-Linie, dreht auf e1 eine wunderbare Pirouette, haucht dem weißen König ein Schach zu, der schüchtern nach h2 ausweicht, kurzer Sidestep auf c1, Handschellen klicken, der weiße Turm sackt zusammen.
Die Botschaft dieses Beispiels ist eindeutig: Schach ist keine harte Arbeit, sondern ein Spiel, ein sehr einfaches noch dazu, Polugajewski würde sogar sagen: ein Scheißspiel.
 
Dia 17:
Boekdrukker - Lewander
Fernschach Holland 1936
dia 17
 
Haben Sie sich schon mal wie ein Fragezeichen gefühlt? Wenn nicht, dann sind sie jetzt dran: 1.Ta1xa4.
?
Dieser Zug wird auch dann nicht verständlicher, wenn ich Ihnen erzähle, dass 1.Ta1xa4 der Platzanweiser für den König sein soll. Nach 1. ... Kb4xa4 ist keine Fesselung nicht zu sehen, es sei denn, man fühlt sich gerade wie ein Ausrufezeichen: 2.Lh7-g6.
!
Die Bauernumwandlung verhindert 2. ... Lf7xg6 und erzwingt 2. ... Lf7-g8.
3.Lg6-e8. Das Läuferendspiel ist punktsicher gewonnen.
Was sagt man dazu?
Danke.
 
Nach einer simpizilen und einer diffizilen Kino-Kombi präsentiert Mr. Miles jetzt eine der subtilen Art, falls man ständige Totschlagsdrohungen als subtil bezeichnen kann.
Dia 18:
Miles - Jadoul
Brüssel 1986
dia 18
1.Tf1-f5 droht den Bh5 zu knechten, was weniger ein materielles als ein matterielles Problem ist. Die Sache mit dem einen T wird durch 1. ... Sd4xf5 vom Brett geschafft, das Zwei-T-Problem aber bleibt: 2.e4xf5. Da der König hinter seinem Läufer Platz nehmen muss 2. ... Kh6-h7, bewahrheitet sich erneut das alte Figurensprichwort „Früher oder später kommen wir alle in den Kasten“. Nach 3.f5-f6 war Kastenzeit.
 
Wenn mich mein Hauptspeicher nicht täuscht, dann hatte ich versprochen, die Luxuskombination der beiden Standardschupper vorzustellen. Im Gegensatz zu Eddys Meisterleistung, bei der die beiden Standardschupper nacheinander für zwei verschiedene Fesselungen eingesetzt wurden, operiert die Luxuskombination nur an einer einzigen Fesselung: Entweder wird zunächst das Fob per Duisburger (Duisburger?) und dann die Zielfigur per Kino-Kombi auf die billigen Plätze geschuppt oder andersherum: Bevor die Zielfigur mittels Kino-Kombi Platz nimmt, wird erst das Fob mit einem Duisburger (Duisburger?) auf das richtige Feld gelotst. Das hört sich verdammt nach einer wahren Schupporgie an, und so haut es wahrscheinlich niemanden aus den Fesselsocken, dass die nächste Kombi unter dem Namen „Das große Schuppen“ rund um die Welt ging, falls die Erde wirklich rund ist, sollte sie eiförmig sein, dann müsste es heißen, die Kombi eierte unter diesem Namen um die Welt, und wenn die Erde ein Würfel ist, so hieße es, sie eckte unter diesem Namen in der ganzen Welt an, und wenn die Welt ein Witz ist, dann hieße es, sie witzte um die Welt, und wenn nicht gleich ein Dia kommt, dann werden vermutlich ein paar Leute ganz fürchterlich fuchtil.
Dia 19:
Teschner - Keres
Länderkampf BRD - UdSSR 1960
dia 19
Das gr               upp                               mit   . ... De   d4 2  T    x    .   och                               ,   ber                           F  b
                                                    (                   ger?)
                            Akt   n               Kö                   2.  . .     -c1+ 3.D     g1 Tc  xg    Kh  x                                     ess ng
                                                                        L     c5.
 
D r u c k s t ö r u n g
Wir bitten um etwas Geduld
 
Hallo? A,b,a,b,a,b,d. Bin ich wieder zu lesen?
Ja? Fein. Tut mir leid diese kleine Unterbrechung, sowas kann in einem Live-Buch schon mal passieren. Ich denke der Kombinationsverlauf war trotz der Lücken in Notation und Erläuterungspalaver gerade noch zu verstehen; mit 1. ... De5xd4 servierte Keres den Duisburger (Duixxxxxxxx, jetzt reicht’s), der den Td1 auf das Fobfeld d4 schuppte, und 2. ... Tc8-c1+ besorgte per Kino-Kombi die Lenkung des Königs zum Zielfeld g1. Das Brett wurde schneller rasiert als Teschner in einen Spiegel gucken konnte. Kein Wunder, dass er sich geschnitten hat.
Kam schon in diesem Beispiel die schlag- beziweis schuppartige Rasur des Brettes etwas überraschend, so ist der Überraschungseffekt beim nächsten noch größer, besonders wenn man bei der Frage, welche Diagonale Schwarz am besten unter Kontrolle hat, tatsächlich glaubt, was man sieht.
Dia 20:
Salanki - Nemeth
Ungarn 1987
dia 20
Wie der Name schon sagt, bei dem Typen auf e5 läuft nix. Spätestens nach 1.La7-b8 wird deutlich, dass die Fesselung vor dem Feld e8 schwerer wiegt als die eindrucksvolle Platzierung der schwarzen Figuren auf der längsten aller Diagonalen, denn 1. ... Le5xb8 2.De4-e8+ Kg8-g7 3.Tf1xf7+ Kg7-h6 4.De8-e3+ g6-g5 5.De3-e6+ macht einen ziemlich matten Eindruck. Immerhin geht noch 1. ... Le5-f6, wenn man bei jemanden, der eine Treppe runtergeschuppt wird, von gehen reden kann, das ist eher ein Straucheln 2.Tf1xf6 Db2xf6, Fallen 3.De4-e8+ Kg8-g7 und Stürzen 4.Lb8-e5.
Es sollte klar geworden sein, dass die Luxuskombination der beiden Standardschupper zu erstaunlichen Sachen fähig ist. Daher lohnt sich eine Investition in dieses Instrument ganz bestimmt. Wenn Sie sich so ein Ding zulegen wollen: Die Ausführung als Luxuskombination von Duisburger und Kino-Kombi ist unter der Bezeichnung Schimanski in jeder gut geführten Folterei erhältlich.