|
2000/2001-Teil 1: heißes
Essen
Die Regionalliga Nord startet mit 19 Vereinen in die Saison
2000/2001. Die beiden Erstplatzierten steigen in die zweite Liga auf.
Je nach Zahl der Nordabsteiger aus der zweiten Liga werden vier bis fünf
Mannschaften absteigen. 1. TB Berlin - RW Essen 2:0 2. RW Essen - Sachsen Leipzig 3:1 3. Erzgebirge Aue - RW Essen 1:0
Tabellenstand
Nach 3 Spieltagen liegt RWE mit 3 Punkten auf Platz 12. 4. Spieltag: RWE-Fortuna Köln, 19.08.2000
Z wie Zivilcourage
RWE hat tolle Fans. Wer jemals auf der überdachten Gegengeraden
im Georg-Melches-Stadion gestanden hat, der weiß: Essen ist die
Hölle. Die Stimmung ist phantastisch. Nur bei einigen Leuten wird
man den Verdacht nicht los, dass die Stimmung auch bei einem brennenden
Asylbewerberheim phantastisch wär. Oben unterm Dach stehen zu viele
Leute mit Haarwuchsproblemen und einseitigem Modegeschmack. "Asylanten"
ist der Lieblingskampfruf vieler RWE-Fans, wenn sich gegnerische Spieler
daneben benehmen. Auch das dumpfe "Sieg" wird von da oben
mit einem leisen, aber nicht überhörbarem "Heil"
garniert.
Gegen Fortuna Köln kamen 5.800 Zuschauer, und wer ist schon Fortuna
Köln. Ganze 50 Fortunen-Fans knubbelten sich auf der Gästetribüne.
"Hurra, das ganze Dorf ist da", heißt das bei den RWE-Fans.
Anscheinend ein Reflex, der aus der furchtbaren Erfahrung "Oberliga
Nordrhein" von vor zwei Jahren erhalten geblieben ist.
Vor mir stand ein braungebrannter Mittvierziger, Schnäuzer, RWE-Schal,
mit 'nem Bier in der Hand. Das Spiel war nicht besonders. Die Stimmung
trotzdem toll, und RWE rettete das 1:0 von kurz nach der Pause gegen
zehn Mann bis zum Ende. Wenn die Fans ihre Mannschaft mit "Kämpfen,
Rot-Weiß, kämpfen" anfeuern müssen, bei eigener
Führung, mit einem Mann mehr, dann sagt das einiges über das
Essener Spiel, aber auch über das Gespür der Fans.
Der Schiedsrichter war mittelmäßig, doch als er sich mit
einer Allerweltsfehlentscheidung einen "Jude, Jude"-Sprechchor
einfing, schrie mein Vordermann "Arschlöcher!" nach oben,
und der Mann hatte 'ne gut geölte Stimme.
Nichts passierte. Es erschien keine Glatzenabordnung, um ihn aufzumischen.
Niemand klatschte ihm Beifall. Auch bei der nächsten "Fehlentscheidung"
kamen wieder die "Jude, Jude"-Sprechchöre und der Typ
konterte mit seinem "Arschlöcher!".
"Mir geht datt auf die Nerven", sagte er zu seinem Nebenmann,
als der ihm beruhigend auf die Schulter klopfte, "die Juden waren
anständige Geschäftsleute. Datt is' alles Mist, watt man über
die erzählt."
~~~~~
4. RW Essen - Fortuna Köln 1:0 5. SV Babelsberg 03 - RW Essen 0:0
Tabellenstand
RWE ist Achter mit 7 Punkten und 4:4 Toren.
6. Spieltag: RWE-Preußen Münster, 03.09.2000
Zwei Stürmer
Das Sturmduo bei RWE heißt zur Zeit Sascha Wolf und Ulf Raschke.
Sascha Wolf ist der kleine Star. Trotz dunkler Vergangenheit (Schalke)
laufen viele RWE-Fans mit seinem Trikot durch die Gegend. Ulf Raschke
ist ein Malocher-Stürmer: groß, bullig, ein Kämpfer.
Am Tag als Preußen Münster in Essen vor 10.000 Zuschauern
unterging, hatte Sascha Wolf Geburtstag. 29 wurde er und versenkte standesgemäß
in der 55. Minute einen Kopfball im Preußen-Tor zum vorentscheidenden
2:0. Damit war für ihn der Tag gelaufen: Er turnte mehrmals im
Abseits rum, verlor einen Ball, blieb einfach stehen und trottete ein
paar Mal beim Zurücklaufen der Münsteraner Abwehr hinterher.
Einmal drang er mit dem Ball in den Strafraum ein, ließ einen
völlig frei stehenden Mitspieler links liegen und versemmelte den
Ball lieber selbst.
Etwa zehn Minuten vor Schluss wurde Sascha Wolf von Trainer Berge ausgewechselt
unter dem üblichen Stakkato-Klatschen der RWE-Fans. Sprechchöre
folgten. Schließlich gab's noch ein "Happy-Birthday"-Geburtstagsständchen.
Und dann war die Bahn frei für Ulf Raschke.
In den letzten Minuten spielten die Preußen mit zehn Mann volles
Risiko und ermöglichten den Essenern ein paar Riesenchancen. In
der 88. Minute machte der Münsteraner Torwart bei einer Ecke einen
Ausflug in den Essener Strafraum. Sein schwacher Kopfball wurde von
einem Essener rausgehauen und landete bei Ulf Raschke. Der stürmte
halbrechts los, schoss aus 40 Metern auf das leere Tor: der Ball flog,
die Münsteraner rannten, der Ball rollte, die Münsteraner
liefen, und rollte und liefen und rollte und liefen, und einen Meter
vor der Torlinie fing ein Münsteraner den Ball ab.
Schon einmal Mitte der zweiten Hälfte war Ulf Raschke von der
Mittellinie aus mit dem Ball am Fuß drei Münsteranern davon
gelaufen, aber an Torwart Melka gescheitert. Dies schien nicht sein
Tag zu sein - bis zur 90. Minute. Wieder tauchte er frei vor dem Münsteraner
Tor auf, aber diesmal machte er alles richtig, tunnelte Melka und das
Ding war drin.
Sascha Wolf hat viele Sympathien bei den RWE-Fans, doch als Ulf Raschke
endlich, endlich, endlich sein Tor machte, da explodierte das Georg-Melches-Stadion.
~~~~~
6. RW Essen - Preussen Münster 3:0
Tabellenstand
RWE ist mit 10 Punkten aus 6 Spielen Sechster. 7. Spieltag: Fortuna Düsseldorf - RWE, 08.09.2000
Klare Fortunen-Niederlage
Vor 7.000 Zuschauern trennten sich am Freitag abend im Düsseldorfer
Rheinstadion Fortuna Düsseldorf und Rot-Weiß Essen 0:0. In
einem temporeichen Spiel mit einigen Torchancen für beide Mannschaften
mussten sich jedoch die Fortuna-Fans 0:3 geschlagen geben.
Schon die Vorbereitungsphase ließ Böses für die Fortunen
ahnen. Im Internet-Forum von Fortuna Düsseldorf reichte nach zwei
peinlichen 0:1 Niederlagen das Spektrum der Beiträge von der Forderung,
den Verein aufzulösen bis zur verzweifelten Frage "Warum tun
wir uns das immer wieder an?". Die Gefahr eines Auswärtsspiels
im eigenen Stadion angesichts von fünf- bis siebentausend erwarteten
RWE-Fans ließ die Stimmung weiter sinken. Doch vielleicht war
es gerade diese Herausforderung, die Donnerstag abend den Umschwung
brachte. Die Beiträge wurden kämpferischer, die Fortuna-Fans
feuerten sich gegenseitig an, kampflos wollte man sich nicht ergeben.
Schließlich versprach die große Zahl an Essener Fans auch
etwas Atmosphäre ins Stadion zu bringen.
Zunächst kam es nicht so schlimm wie befürchtet. Etwa 3.000
RWE-Fans machten zwar ordentlich Dampf, aber das Rheinstadion ist groß,
so dass die Fortunen unbeeindruckt ihre Mannschaft anfeuern konnten.
Dass die Heim-Fanschaft trotzdem die erste Halbzeit verlor, war auf
eine gewaltige Energieleistung der RWE-Fans zurückzuführen,
die etwa ab der 25.Minute einen einzigen Spruch mit einer einzigen Melodie
15 Minuten am Stück in voller Lautstärke durchzogen. Diesem
Dauerdruck hatten die Düsseldorfer nichts entgegenzusetzen.
Die zweite Halbzeit begann für die Fortuna-Fans vielversprechend.
Zehn bis fünfzehn Minuten lieferten sie den Essenern dank der Unterstützung
vom Rasen einen harten Kampf, doch dann rächte sich die schlechte
Vorbereitung. Man kann seine Mannschaft nicht mit "Rot-Weiß"
anfeuern, wenn der Gegner Rot-Weiß Essen heißt, selbst wenn
das seit 100 Jahren die Düsseldorfer Farben sind. Schlimmer jedoch
war das völlige Unverständnis für die gegnerische Spielanlage.
Der Schlachtruf "Ruhrpottkanaken" ist für einen Essener
Fan keine Beleidigung, sondern ein Ehrentitel, der schon lange zum Essener
Fan-Programm gehört. Zur Zeit ist "Wir sind die Essener, die
asozialen Essener" ein noch beliebterer Standard. So bekamen die
Essener Spieler von beiden Seiten die gewohnte Unterstützung und
waren entsprechend motiviert. Damit ging auch die zweite Halbzeit klar
an die RWE-Fans, die zudem an Ausdauer und Lautstärke die eindeutig
bessere Fanschaft stellten.
Das I-Tüpfelchen auf die Fortuna-Niederlage setzte wiederum ein
Düsseldorfer selbst. Kaum war die Straßenbahn zwei Stationen
weit geruckelt, kotzte er völlig unbedrängt vom Gegner seine
drei Liter Altbier aus. Und wenn selbst ein Düsseldorfer sein Alt
nicht mehr bei sich behalten kann, wer dann?
Dieses Eigentor in der Nachspielzeit machte den 0:3-Endstand perfekt.
Für die Düsseldorfer Fans brechen schwere Zeiten an. Neben
den bekannten Defiziten wie ein schwer zu beschallendes Stadion mit
einem deplazierten Stadionsprecher, der eher in die Tanzbundesliga passt
als in die erdige Regionalliga, fehlt es zur Zeit mit drei Spielen ohne
Torerfolg auch an der Unterstützung vom Rasen. Trotzdem müssen
sich die Fortunen an die eigene Nase packen. Wer sich mehr mit sich
selbst als mit dem Gegner beschäftigt, darf sich nicht wundern,
wenn er ganz schnell gegen den Abstieg singt, und ob die Düsseldorfer
dafür die richtigen Fan-Typen haben, darf nach der Vorstellung
gegen Essen bezweifelt werden.
~~~~~
7. Fortuna Duesseldorf - RW Essen 0:0 8. RW Essen - Werder Bremen Am. 3:1
Tabellenstand
Nach dem achten Spieltag erreicht RWE mit Platz 3 die höchste Platzierung der Saison.
9.Spieltag: BVB Am. - RWE, 24.09.2000 Vorbemerkung: Dieses Spiel fand einen Tag nach dem Bundesliga-Derby zwischen BVB und Schalke statt, bei dem sich Dortmund zu Hause eine 0:4-Klatsche einfing.
Essen auf Rädern
Im Georg-Melches-Hexenkessel brodelt in dieser Saison ein Süppchen,
das die Gäste so heiß auslöffeln müssen, wie's
gekocht wird: 4 Gänge, 12 Punkte, 10:2 Tore stehen auf der Karte.
Doch wenn Essen unterwegs isst, dann gibt's nur lauwarme italienische
Kost: 0:2, 0:1, 0:0, 0:0. Eine geschmacklose Serie.
Beim Ausflug zur guten alten Pommes-Bude "Stadion Rote Erde"
sollte das gegen die BVB-Amateure anders werden. 2.500 Essener hatten
Kohldampf auf Pommes rot-weiß mit Currywurst dreipunktgewürzt.
Wenn nicht in Dortmund, wo dann sollte es was Scharfes hinter die Kiemen
geben?
Doch der Ausflug stand unter keinen guten Vorzeichen. Das Wetter war
eher nach Abhängen im Biergarten als zum Stehen in der Pommes-Bude.
Der Himmel über dem Westfalenstadion in unmittelbarer Nachbarschaft
strahlte in einem unverschämten Blau - weiß auch nicht warum.
Zudem musste Essen auf seinen Feinschmecker im Mittelfeld, Andrej Polunin,
verzichten. Auch dass der Dortmunder Amateur-Chefkoch bekannt dafür
war, Beton in die Soße zu kippen, verhieß nichts Gutes.
Die Partie lief dann tatsächlich sehr zähflüssig.
Sobald die Dortmunder den Ball serviert hatten, zogen sie sich in die
eigene Küche zurück. Appetitlos schoben die Essener Abwehrspieler
den Ball an der Mittellinie hin und her wie ein altes Stück Ciabatta-Brot,
auf das auch der Rest der Mannschaft gerne verzichtete. Die meisten RWE-Spieler
hatten anscheinend schon zu Hause gegessen und hielten lieber ihr Verdauungsschläfchen,
als sich für trocken Brot ein Bein auszureißen. In der Schlussphase
konnten die Gäste sogar froh sein, dass die Dortmunder Kellner ihnen
keine Tomatensoße auf die weiße Weste kippten.
So blieb es bei der Fortsetzung der Spaghetti-Serie mit dem dritten
Auswärts-0:0 in Folge. Bitter enttäuscht verließen die
RWE-Fans das Stadion. Sie waren von den Dortmunder Küchen-Mafiosi
mit einem Umbau reingelegt worden. Das "Stadion Rote Erde"
war keine Pommesbude mehr, sondern der Katzentisch im "Ristorante
Stadio Westfalio", wo an diesem Wochenende Gelsenkirchener Gäste
bevorzugt bedient wurden.
~~~~~
|
||
|
|