Zwei Jahre Rot-Weiß
 
• Regionalliga 2000/2001
Teil 4: fast verhungert
 
• Zweite Liga 2004/2005
 
 

 

 

 
2000/2001-Teil 4: fast verhungert
 
22. RW Essen - Erzgebirge Aue 2:0
23. Fortuna Köln - RW Essen 2:1
Tabellenstand
Bevor es wieder abwärts geht, erreicht RWE am 23. Spieltag Platz sieben.
 
24. Spieltag: RWE - Babelsberg, 17.02.2001
Was auf dem Werbeplakat stand, an dem ich auf dem Weg nach Hause vorbeikam
Nach dem Spiel feierten die Fans Christoph Müller.
Christoph Müller ist der Torwart von Rot-Weiß Essen.
Rot-Weiß Essen hatte 0:3 verloren.
Was sagt das über das Spiel von Rot-Weiß Essen?
In der 13. Minute fiel das 0:1.
Das 0:1 war die Entscheidung.
Die Entscheidung, weil Essen in dieser
Saison noch nie einen Rückstand aufgeholt hat.
Was sagt das über den Geist der Mannschaft?
Essen spielte 25 Minuten lang gegen 10 Babelsberger.
Gegen 10 Babelsberger gab es nicht eine Torchance für Essen.
Essen fing sich sogar das 0:3 gegen 10 Babelsberger.
Was sagt das über den Zustand von Essen?
Essen ist fertig, stand auf dem Werbeplakat, an dem ich auf dem Weg nach Hause vorbeikam.
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24. RW Essen - SV Babelsberg 03 0:3
25. Preussen Münster - RW Essen 3:1
26. RW Essen - Fortuna Düsseldorf verlegt
27. Werder Bremen Am. - RW Essen 3:5
Tabellenstand
RWE ist immer noch Achter.
 
26. Spieltag: RWE - Fortuna Düsseldorf, 13.03.2001
Und erlöse uns von dieser Logik
Aus dem Vorbericht der WAZ vom 13.03.: Neben den verletzten Polunin, Winkler, Rayer, Borzek und Weigelt fällt nun auch Holger Karp mit einer Kreuzband-Dehnung für mindestens drei Wochen aus. Für ihn kommt Erwin Koen ins Team. Doch die Reservebank ist leer gefegt. Klaus Berge jammert indes nicht: "Dann müssen wir noch enger zusammen rücken."
Falls es jemand nicht weiß: der Typ, der da auf einer leeren Bank enger zusammenrücken will, ist der Trainer von Rot-Weiß Essen. Klaus Berge hat seine eigene Logik. Nachdem RWE in der Rückrunde eine Berg- und Talfahrt mit je drei Siegen und drei Niederlagen in Serie hingelegt hatte, erklärte er das mit der Konstruktion des Spielplans. Drei Mal hintereinander hatte man gegen Mannschaften gespielt, die in der Tabelle unter Essen standen und dann drei Mal hintereinander gegen Mannschaften, die über Essen standen. Logischerweise gewann Essen gegen die einen und verlor gegen die anderen.
Wie würde also das Spiel gegen Düsseldorf ausgehen? Für Klaus Berge war das kein Problem. Er hatte sich auf alles vorbereitet. Theoretisch könnte Essen gewinnen, weil oberhalb in der Tabelle, aber auch verlieren, weil Düsseldorf viel besser sei als der Tabellenstand es aussage. Tatsächlich ging es 1:3 aus und verlief nicht ganz logisch.
Der Reihe nach: Zum x-ten Mal begann RWE mit Berge'schem Logikfußball. Essen spielte geduldig und wurde für diese Geduld mit dem 1:0 in der 32. Minute belohnt. So sah das der Trainer. Alle anderen sahen, dass nach vorne nichts lief, man hinten mit etwas Glück den Kasten sauber hielt und dann fiel mit der ersten richtigen Chance das Tor. Nach dem logischen Schema dieser Saison hätte das der Sieg sein müssen, denn nach einer Führung schaukelten die Essener die Spiele regelmäßig nach Hause, während sie nach einem Rückstand genauso regelmäßig einbrachen und ansonsten spielte man halt geduldig 0:0. So war RWE mit fünf Nullnummern die Topmannschaft der Hinserie im bezahlten Fußball.
Doch diesmal kam es anders. Kurz nach der Halbzeit wurde ein anscheinend regulärer Treffer nicht anerkannt, 10 Minuten später fing sich Essen das 1:1, das indirekt die Folge eines unverständlichen Freistoßes war, und dann brach die Mannschaft auseinander. Der Schuldige war schnell ausgemacht: Der Schiedsrichter hatte mit seiner unlogische Pfeiferei das Spiel ruiniert. So einfach ist das, wenn man an den Fußball mit Logik herangeht.
Ach ja? Scheiße, Mann. Ich hab schon lange keine Essener Mannschaft mehr gesehen, die 5:0 gewinnen will und nicht nach einem Führungstor einen Gang zurückschaltet. Ich hab schon lange keine Essener Mannschaft mehr gesehen, die nach einem Rückstand den Terror auspackt und nicht wie aufgescheuchte Hühner durcheinander läuft. Ich hab schon lange keine Essener Mannschaft mehr gesehen, die mit dem Ball kombiniert und ihn nicht nur hin und herschiebt oder planlos nach vorne pöhlt. Kurz gesagt, ich hab schon lange keine Essener Mannschaft mehr gesehen, die Fußball spielt: unlogisch, nervenzerfetzend und begeisternd. Was macht man da?
Aus einem RWE-Fan-Forum vom 13.03.:
Fan A: ... wir brauchen heute doch drei Punkte und ne Trainerentlassung
Fan B: Wenn es drei Punkte gibt, gibt es keine Trainerentlassung.
Fan A: Stimmt, hast recht. War schon die Freude auf das Spiel!
Das ist das Problem. Einen Trainer loszuwerden, braucht ein paar Niederlagen, doch niemand will seine Mannschaft verlieren sehen. Zwar pfeifen es die Journalisten schon aus den Spalten der Zeitungen, dass Berge trotz laufenden Vertrags nächste Saison nicht mehr RWE-Trainer sein wird, doch wer will ein halbes Jahr warten, um wieder Fußball zu sehen?
Vielleicht gibt's eine Chance, das Problem zu lösen. Essen hat aus den letzten fünf Spielen gerade mal drei Punkte geholt, jetzt noch eine Niederlage gegen einen Abstiegskandidaten und der Kontakt zu den Oberligatickets wär wieder hergestellt. Welcher Vorstand würde da nicht handeln? Zufälligerweise spielt RWE diesen Samstag zu Hause gegen den Abstiegskandidaten BVB-Amateure. Und zufälligerweise werd ich das Spiel nicht sehen. Überhaupt wird sich nach der Vorstellung gegen Düsseldorf bis auf einen harten Kern von 3000 Leuten, die Kummer gewöhnt sind, niemand das Spiel antun wollen. Wär das nicht die ideale Gelegenheit, uns von diesem Logiker zu erlösen?
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26. RW Essen - Fortuna Duesseldorf 1:3 (Nachholspiel)
28. RW Essen - Borussia Dortmund Am. 1:1
29. SV Wilhelmshaven - RW Essen 4:0
Tabellenstand
Platz 12 mit 10 Siegen und 12 Niederlagen.
 
30. Spieltag: RWE - Dresdner SC, 06.04.2001
Wasser und Brot
Es gibt wahrscheinlich nicht viele Leute, die bei der Frage nach ihrer Lieblingsspeise "Wasser und Brot" antworten würden. Andrerseits gibt's nichts Göttlicheres als Wasser und Brot, wenn man kurz vorm Verhungern ist. So ist es auch zu erklären, dass die RWE-Fans nach dem Spiel gegen Dresden auf die Zäune stürmten, jauchzten und frohlockten, obwohl ihnen nicht viel mehr angeboten wurde als eine lauwarme Wassersuppe mit zwei kleinen Torbröckchen aus Standardsituationen und ein 3-Punkt-großes Stück trocken Brot. Aber dies ist schon das Ende der Geschichte, ich sollte besser mit dem Anfang anfangen. Rückblende:
Vor drei Wochen lieferte Chefkoch Klaus Berge im Georg-Melches-Studio seine letzte Meisterleistung ab. Beim 1:1 gegen den Abstiegskandidaten BVB Am. spielte RWE 30 Minuten lang in Überzahl, doch getreu dem Motto, wenn man den Herd nicht anstellt, kann auch nichts anbrennen, sahen die Essener tatenlos zu, wie sich Dortmund den Ball in den eigenen Reihen zuschob. Mit dieser genialen Taktik, passives Spiel mit passivem Spiel zu beantworten, die Dortmunder gewissermaßen mit dem eigenen Kochlöffel zu schlagen, brachte Chefkoch Berge auch noch die letzten Essener Fans um den Verstand und sich um den Job. Die Abfindungsverhandlungen zogen sich über eine Woche hin und an seinem schweren Schicksal tragend zog der Chefkoch ab. Es können aber auch die Koffer voller Geld gewesen sein, an denen Berge so schwer zu tragen hatte.
Bei Berges Nachfolge entschied sich der Essener Vorstand für die Kleine-Geldbeutel-Lösung. Der Trainer der zweiten Mannschaft sollte das Training bis zum Saisonende übernehmen. Der Trainer der zweiten Mannschaft heißt Frank Kurth oder kurz Frankie und ist nichts weniger als die lebende Torwartlegende beim RWE, ein 100-prozentiger Rot-Weißer. Bei den Fans und der Mannschaft kam diese Lösung gut an. Tatsächlich geschah so etwas wie ein Wunder: Lahme konnten wieder gehen, Verletzte wieder stehen. Das Essener Lazarett leerte sich schlagartig.
Angeblich schreibt das Leben die besten Geschichten, doch in diesem Fall weigerte es sich, eine tolle Geschichte zu schreiben. Beim ersten Spiel mit neuem Chefkoch wurden die Essener in Wilhelmshaven mit 0:4 kahlgefressen. Die Fans schoben weiter Kohldampf. Nun musste Punktefutter her, egal wie.
Egal wie lief dann auch das Spiel gegen Dresden. Nach ein paar guten Ansätzen wurde wieder Stolperkost geboten, und der erste ernsthafte Dresdner Angriff brachte kurz vor der Halbzeit das 0:1. Im Gegenzug erhielt RWE einen Elfmeter, den Konjevic verschoss. Vom Hunger geschwächt, das Abstiegsgespenst vor Augen, verwechselten die Essener Fans ihren Text. Statt "Wir woll'n euch kämpfen seh'n" sangen sie "Wir ham die Schnauze voll", und der Halbzeitpfiff des Schiedsrichter war nur einer unter Tausenden.
Nach der Pause wurden dann noch mal alle Reserven mobilisiert - von den Fans. Zehn Minuten am Stück hieß es "Immer wieder, immer wieder RWE" unterstützt von einem Klatschrhythmus, der jedem Open-Air-Konzert alle Ehre gemacht hätte. Auf dem Platz tat sich nicht viel. Die RWE-Spieler mühten sich, Dresden ließ sie machen.
In der 60. Minute wurde dann Andrej Poulunin eingewechselt. Wer ist Andrej Poulinin? Er ist einer der ganzen wenigen Fußballspieler bei RWE; er s p i e l t Fußball, leitet einen Ball schon weiter, bevor er ihn überhaupt angenommen hat, und seine Pässe kommen dahin, wo es weh tut: freier Mann, freier Raum. Leider zeigt er meistens nicht das, was er kann, weshalb er bei den meisten RWE-Fans nicht gut angeschrieben ist.
Immerhin führte seine Ecke zum Ausgleich durch Wolf in der 65.Minute. Danach gab es ein paar kleine Turbulenzen - Großchance für Wolf, Abseitstor für Dresden -, doch in den letzten Minuten der Partie schienen beide Mannschaften mit dem einen Punkt zufrieden. Zwei Minuten vor Schluss bekam RWE einen Freistoß: 30 Meter Torentfernung, Position in der Platzmitte. Normalerweise ein Fall für Konjevic, der einen strammen Schuss hat und den Ball gewöhnlich irgendwo hinknallt, nur nicht ins Tor.
Diesmal legte sich Andrej Poulinin den Ball zurecht. Nun ist Poulinin ein kleiner, schmächtiger Spieler, so dass niemand diesen Versuch sonderlich ernst nahm. Als der Ball vom Netz abtropfte, fragten sich 4.400 Essener: "Was ist das für ein Netz?" Und 4.400 Essener stellten fest: "Das ist ja das TOOOOOOORnetz!" Während man auf der Tribüne seine eigenen Gedanken nicht mehr verstand, spielten sich auf dem Platz die üblichen Szenen ab. Poulinin versuchte zu flüchten, aber kurz vor der Trainerbank erwischten sie ihn und er verschwand unter einer Spielertraube.
Damit bin ich wieder am Anfang dieser Geschichte, die ja eigentlich der Schluss war. Die RWE-Fans stürmten auf die Zäune, jauchzten und frohlockten, obwohl es doch nur eine lauwarme Wassersuppe mit zwei kleinen Torbröckchen aus Standardsituationen und ein 3-Punkt-großes Stück trocken Brot gegeben hatte. Der Sieg nährt die Hoffnung, dass es in dieser Saison nicht mehr um die Abstiegswurst geht, da 6 bis 7 Punkte aus den restlichen 7 Spielen reichen sollten. Andrerseits sieht es nicht so aus, als ob RWE in dieser Saison nochmal was anderes als Wasser und Brot anzubieten hätte, und es gibt wahrscheinlich nicht viele Leute, die bei der Frage nach ihrer Lieblingsspeise "Wasser und Brot" antworten würden.
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30. RW Essen - Dresdner SC 2:1
31. spielfrei
32. SC Verl - RW Essen 2:0
36. Union Berlin - RW Essen 1:0 (vorverlegtes Spiel)
Tabellenstand
Platz 12 für RWE mit einer Tordifferenz von minus 10.
 
33.Spieltag: RWE - KFC Uerdingen, 04.05.2001
Kapital
Scott Adams ist ein Humorist, der mit seinen Dilbert-Cartoons den Büroalltag gnadenlos karikiert. In seinem Buch "Das Dilbert Prinzip" deckt er unter anderem die größten Lügen der Chefs auf. Eine von diesen Lügen hat bestimmt jeder schon mal in irgendeiner Variation gehört. Sie lautet: "Die Mitarbeiter sind unser wertvollstes Gut". Näher an der Wahrheit ist wahrscheinlich folgender Text aus einem Dilbert-Cartoon:
(Chef und Mitarbeiter sitzen in einer Besprechung)
Chef: Ich habe jahrelang gesagt, die Mitarbeiter seien unser wertvollstes Gut. Leider habe ich mich geirrt. Geld ist unser wertvollstes Gut. Die Mitarbeiter kommen an neunter Stelle.
Ein Mitarbeiter: Ich wage nicht zu fragen, was an achter Stelle steht.
Chef: Durchschlagpapier.
Was hat das mit Fußball zu tun? Nichts, außer dass die RWE-Oberen seit langer Zeit behaupten, die Fans seien das wertvollste Kapital von Rot-Weiß Essen und einige Tage vor dem Spiel gegen Uerdingen ... ach, das Spiel gegen Uerdingen! Darüber wollte ich ja eigentlich berichten:
RWE führte nach 13 Minuten bereits 2:0 durch zwei Tore von Ulf Raschke. Ulf Raschke? Etwa der Ulf Raschke, der inzwischen den wenig originellen Beinamen "Chancentod" trägt? Genau der. Von den wenigen Chancen, die die Essener Mannschaft im Laufe der Saison bereit war herauszuspielen, hat er so ziemlich jede sich bietende versiebt. Gegen Uerdingen bleib ihm nicht viel anderes übrig als die Dinger reinzutun. Zwei Mal wurde er flach im Fünfmeterraum angespielt und stand völlig frei. Trotzdem ist die einzige Erklärung für die Tore, dass Ulf Raschke zu diesem frühen Zeitpunkt des Spiels noch nicht richtig wach war. Sonst hätte er wie üblich eine Möglichkeit gefunden, den Ball auf Bahnen zu schicken, die physikalisch noch nicht erforscht sind. So stand's Essen 2, Uerdingen 0, danke, bitte.
Kann sich jemand die Stimmung unter den knapp 5.000 Zuschauern an der Hafenstraße vorstellen, nachdem RWE so schnell 2:0 führte? Nein, jemand, der nicht dort war, kann sich das nicht vorstellen. Die Stimmung war absolut Null, Tote Hose, Niente, Nada, Nixo, Doppelplusgarnix. Fangesänge starben vor der ersten Wiederholung und erreichten Lautstärken, die selbst in einer schwach besuchten Messe, bei der die Hälfte der Leute den Text nicht kennt, übertroffen würden.
Ursache für den Fanausfall war ein Boykottversuch zu Beginn des Spiels, der vor allem von Fans initiiert wurde, die ihre Mannschaft regelmäßig auswärts unterstützen. Nachdem sich die Essener Profis in den letzten Spielen auf fremden Plätzen ziemlich widerstandslos einstampfen ließen, war es endgültig mit der Geduld der Fans vorbei. Die Idee bestand darin, den Fanblock K freizulassen und statt dessen die alte Heimat der RWE-Fans, die Westkurve, zu stürmen. Dazu muss man wissen, dass es in Essen schon lange keine Westkurve mehr gibt. Wo früher die RWE-Fans standen, ist jetzt eine platte Schotterfläche. Vor dem Spiel wurden Flugblätter verteilt, doch der Block K blieb nicht leer und nur etwa 200 Fans verloren sich beim Anpfiff auf der Westplatte. Nach der frühen Führung löste sich der Boykott auf, doch die Stimmung erholte sich in der ganzen ersten Halbzeit nicht mehr. Da die Aktion unter dem Motto stand, dass diese Spieler keine Unterstützung mehr verdient hatten, entpuppte sich der Boykott doch als Erfolg.
Der Rest des Spiels war so aufregend wie ein Sonntag nachmittag vor dem Fernseher - wenn der Strom ausgefallen ist. Trainer Frank Kurth ließ eine Fünfer-Abwehrkette am 16-Meter-Raum aufbauen, was den Essener Spielern sehr entgegen kam, denn mit einer 2:0-Führung im Rücken schleppen sie sich gewöhnlich nicht mehr bis in den gegnerischen Strafraum und so war der Weg für die meisten eh viel zu weit. Das 3:0 beruhte dann auch auf der Unerfahrenheit eines Landesliga-Spielers in den Essener Reihen. Ali Bilgin lief tatsächlich bis in den gegnerischen 16er und schoss auch noch aufs Tor. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass sich der Junge mit dieser Einstellung eine Profi-Laufbahn abschminken kann.
Nachdem die Essener Profis ihre Schicht in Ruhe nach Hause schoben, ließen sie es sich nicht nehmen, mit ihren Fans den Sieg zu feiern. Doppeltorschütze Ulf Raschke erklärte in einem Interview, dass er nach den gezeigten Leistungen der vergangenen Wochen volles Verständnis für die boykottierenden Fans hätte. Dies lässt darauf schließen, dass auch die Spieler erkannt haben, was sie an ihren Fans haben.
Die Essener Vereinsführung hatte bereits unter der Woche ihre Wertschätzung der RWE-Fans bekanntgegeben. Die Unterstützung in der ganzen verkorksten Saison ist dem Vorstand pro Essener Fan fünf Mark wert, nicht in bar, sondern als Preissenkung für die Eintrittskarten im letzten Heimspiel der Saison gegen Wattenscheid, von dem jeder Essener hofft, dass es keine Bedeutung mehr hat. Fünf Mark Preisermäßigung in einem wahrscheinlich bedeutungslosen Spiel für Hunderte bis Tausende Kilometer Reisen, für zig verpfuschte Wochenenden, für alles an Zeit und Geld, was Essener Fans in ihren Verein trotz aller Enttäuschungen dieser Saison investiert haben. Auch die RWE-Vereinsoberen scheinen nun ihren Irrtum erkannt zu haben. Die RWE-Fans sind nicht das wertvollste Kapital des Vereins, in Wirklichkeit steht der durchschnittliche Fan auf Platz 27, knapp hinter Sascha Wolfs Stollenschlüsseln, aber immerhin noch vor den Ersatzeckfahnen - vor den Ersatzeckfahnen fürs Trainingsgelände.
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33. RW Essen - KFC Uerdingen 05 3:0
34. VfB Luebeck - RW Essen 4:1
35. RW Essen - Lüneburger SK 1:1
36. Spiel gegen Union Berlin war vorverlegt
Tabellenstand
RWE ist Vierzehnter und darf keinen Schritt mehr weiter hinunter.
 
RWE - Wattenscheid 09, 02.06.2001, 14 Uhr
Die Rückkehr der Hölle
"RWE hat tolle Fans. Wer jemals auf der überdachten Gegengeraden im Georg-Melches-Stadion gestanden hat, der weiß: Essen ist die Hölle."
So begann mein erster RWE-Beitrag dieser Saison zum Spiel gegen Fortuna Köln im August 2000. Inzwischen sind viele Bälle den Rasen heruntergerollt, und der Lautstärkeregler in der Hölle ist kontinuierlich heruntergedreht worden. Nach dem 1:1 vor über einer Woche gegen Lüneburg herrschte Grabesstille im Georg-Melches-Stadion. In dieser Stille ... da klappert was. Was klappert da? Ist das Dein Computer, der da klappert? Pst, hör mal genau hin ... Oh, nee, Entschuldigung. Jetzt weiß ich, was da klappert. Es sind die Zähne der RWE-Fans, die schlotternd vor dem Höllentor der Oberliga stehen.
Nicht jeder hat die Tabelle der Regionalliga Nord im Kopf, deshalb ein paar Zahlen zur Erklärung. Mit dem 1:1 gegen Lüneburg kam Essen drei Spieltage vor Schluss auf 43 Punkte. Dahinter lagen Düsseldorf 42 und Leipzig auf dem ersten Abstiegsplatz 40 Punkte. Mit im Sumpf steckten Wattenscheid und Wilhelmshaven mit ebenfalls 43 Punkten. Von all diesen Mannschaften stand RWE mit dem schlechtesten Torverhältnis da. Doch was den RWE-Fans die Kehle zuschnürte, war die Tatsache, dass Essen bereits ein Spiel mehr ausgetragen hatte. Und so musste man in Essen an diesem Wochenende hilflos zukucken, was die Konkurrenz machte. Das Spiel bei Union Berlin war vorverlegt und natürlich auch verloren worden, denn Union spielte bekanntlich gegen Schalke im DFB-Pokalendspiel.
Kurze Unterbrechung für ein kleines wissenschaftliches Experiment - genauer gesagt für einen Selbstversuch: Ich war da. Nein, nicht in Berlin, sondern auf Schalke, wie man so sagt. Der WDR übertrug das Pokalendspiel auf Großleinwand für lau und 40.000 kamen. Seit den Offenbarungen des Großen Hornby wissen wir, dass sich niemand seinen Verein aussuchen kann. Er wird einem in frühen Jahren vom Schicksal zugeteilt, und es gibt keine Möglichkeit dem zu entrinnen. Überlaufen geht nicht, denn Gefangene werden keine gemacht. Trotzdem kann ich nur jedem raten, ein Mal im Leben nach Schalke zu pilgern. Vermutlich hab ich nur den harmloseren Teil der Schalke-Fans gesehen, weil die wirklich harten Fans natürlich in Berlin waren. Doch für mich war das eine Lebenserfahrung, die ich nie vergessen werde. Ich weiß jetzt, egal wie mir das Leben mitspielt, mir geht es gut, denn ich bin kein Schalke-Fan.
Na ja, vielleicht sollte ich die Schalker nicht so schlecht machen. Nirgendwo sonst hab ich bisher so viel Selbstironie gehört. Wie ging das nochmal? "Hängt euch aaauf, wenn ihr Schalker seid." Oder so ähnlich. Sie haben also auch ihre gute Seiten.
Zurück zur Hölle: Die Ergebnisse dieses Wochenendes gingen nur knapp an der Schnellsten Anzunehmenden Höllenfahrt vorbei. Wattenscheid gewann. Wilhelmshaven gewann. Leipzig gewann. Nur Düsseldorf verlor in Aue. Damit steht RWE mit einem Punkt Vorsprung vor Düsseldorf auf dem letzten Hölle-Winkewinke-Platz. Und jetzt kommt das Spiel am Samstag um 14 Uhr gegen Wattenscheid 09, die mit 46 Punkten fast durch sind, aber nur fast. Es ist der vorletzte Spieltag und RWE muss gewinnen. Damit bin ich beim Zweck dieses Beitrags. Ich hab ihn nicht für Spässeken geschrieben, auch nicht für die Schalker. Nein, er ist eine Einladung - eine Einladung in die Hölle.
Der Verein hat die Eintrittspreise für das letzte Heimspiel - wenn auch mit ganz anderen Motiven - schon vor einigen Wochen drastisch gesenkt. 8 DM für den Stehplatz. Nie war die Hölle günstiger, und wer mit RWE-Schal, -Mütze oder -Trikot kommt, hat freien Eintritt. Wenn Du zum letzten Mal in dieser Saison ein Spiel erleben willst, bei dem es auf Leben und Tod geht, dann komm am Samstag nach Essen. Wenn Du zum letzten Mal in dieser Saison ein Spiel erleben willst, das alle Grade der Emotionen von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt bereit hält, dann komm am Samstag nach Essen. Wenn Du zum letzten Mal in dieser Saison ein Spiel erleben willst, bei dem es in einem Stadion wie in der Hölle brodelt, dann komm am Samstag nach Essen. Kurz gesagt: In der Hölle sind noch ein paar Plätze frei. Komm JETZT! Oder bleib für immer zu Haus.
PS: Schalker müssen leider draußen bleiben. Wir wollen ja nicht, dass ihnen in der Hölle ihr schöner Pokal auch noch wegschmilzt;-)
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37. Spieltag: RWE - Wattenscheid 09, 02.06.2001
Der alte Boxer
Der alte Boxer hing auf dem Schemel in seiner Ecke. Vom Kampf gezeichnet, das rechte Auge halb zugeschwollen, ließ er den Wortschwall seines Trainer über sich ergehen. Die Worte prallten ungehört von ihm ab. Der alte Boxer wünschte sich nur noch eins: Der Kampf sollte endlich zu Ende gehen. Er wusste, dass er sich selbst in diese Lage gebracht hatte. In den ersten Runden hatte er gut ausgesehen, einiges ausgeteilt, viele Punkte gemacht. Doch statt hinterherzugehen, den entscheiden Schlag zu setzen, hatte er auf Taktieren und Abwarten geschaltet, den Gegner kommen lassen. Und der Gegner kam. Runde für Runde schmolz der Punktevorsprung. Auch die Atmosphäre wurde immer giftiger. Der alte Boxer hatte die Zuschauer mit seiner Schongangtaktik gegen sich aufgebracht - und das in seiner eigenen Halle, wo schon manch Großer von ihm aus den Schuhen gehauen worden war.
Aus dem Augenwinkel sah der alte Boxer seinen Manager durch die Zuschauerreihen wieseln. Ja, wenn die Leute noch mal hinter ihm stünden, wenn er noch mal das alte Feeling spüren würde, vielleicht ... Da ertönte der Gong zur vorletzten Runde.
So als wäre nichts gewesen unterstützten 7.000 Essener ihre Mannschaft im vorletzten Spiel gegen Wattenscheid. Auch die Spieler waren willens, die schwachen Leistungen der vergangenen Wochen vergessen zu machen. Trotzdem brauchte es, wie so oft in letzter Zeit, eine Standardsituation, um zum Torerfolg zu kommen. In der 18. Minute war Sascha Wolf nach einer Ecke mit dem Kopf zur Stelle.
Das Gegentor vier Minuten später war ebenfalls ein alter Bekannter. Die RWE-Abwehr wurde mit einfachsten Mitteln ausgespielt und Torwart Wiesner konnte sich mal wieder nicht zwischen Rausgehen und im Kasten bleiben entscheiden. Also ging er dem aufs Tor zustürmenden Wattenscheider etwas entgegen, überlegte sich das wieder und schaute dann dem Ball nach, der sich über ihn hinweg ins Tor senkte.
Die Zuschauer feuerten den alten Boxer weiter an. Er mühte sich redlich, kämpfte wie er lange nicht gekämpft hatte, doch der entscheidende Schlag wollte nicht gelingen. Gegen Ende der Runde wurde er zusehends müder, die Schläge kraftloser. Der Wille war da, doch dann - ertönte der Gong. Enttäuscht trottete der alte Boxer in seine Ecke und ließ sich auf den Schemel fallen. Seinen Punktevorsprung hatte er durch diese Runde etwas ausgebaut, doch ein einziger Schlag würde alle Mühe dieses Kampfes vergeblich machen. Dass er selbst noch in der Lage wäre, diesen einen zu Schlag setzen, diesen Glauben hatte er nicht vermitteln können.
Der alte Boxer schaute rüber in die andere Ecke, wo sich die Betreuer um seinen Gegner bemühten. Der Riss über der Augenbraue war wieder aufgegangen. Vielleicht, so hoffte der alte Boxer, würden Ringrichter oder Ringarzt den Kampf beenden - endlich, endlich, endlich beenden. Und der alte Boxer hoffte und wartete auf den Gong zur letzten Runde.
Mit zwei Punkten Vorsprung fährt RWE zur letzten Runde nach Braunschweig, doch die Hoffnungen heißen Babelsberg und Fortuna Köln. Babelsberg braucht im Spiel zu Hause gegen Düsseldorf noch einen Punkt zum Aufstieg. Fortuna Köln muss seinerseits gegen Werders Amateure unbedingt siegen, um überhaupt noch aufsteigen zu können. Nur wenn Düsseldorf oder Werder es fertig bringen, drei Punkte bei einem der Aufstiegskandidaten zu holen, braucht RWE in Braunschweig einen Sieg, um nicht abzusteigen.
Die Essener Chancen sind also nicht schlecht. Vielleicht klappt es sogar noch mit dem entscheidenen Schlag, obwohl die Kraft dazu nicht mehr vorhanden zu sein scheint. Braunschweig hat in den vergangenen Spielen jeder notleidenden Mannschaft wohltätig mit drei Punkten ausgeholfen, doch gerade gegen Essen könnte das etwas anders ausehen. Der neue RWE-Manager Scheike bezeichnete vergangene Woche bei einem Interview die Braunschweiger als heruntergekommenste Mannschaft der Liga. Er scheint sich damit einen Ruf als großer Motivator aufbauen zu wollen, nur an der Richtung seiner Motivation muss er noch etwas feilen.
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37. RW Essen - Wattenscheid 09 1:1
Tabellenstand
Vor dem letzten Spieltag steht RWE immer noch auf dem rettenden vierzehnten Platz.
 
38. Spieltag: Eintracht Braunschweig - RWE, 09.06.2001
Im Läuseleberland
Es ist Samstag, der 09. Juni 2001, 15 Uhr 44. Der Ball springt auf die Latte des Braunschweiger Tores, tropft ins Spiel zurück auf Sascha Wolfs Kopf und ... scheiße, vertan, es ist gar nicht Samstag, der 09. Juni 2001, 15 Uhr 44. Es ist Samstag, der 09. Juni 2001, 14 Uhr. Auf einer kleinen blauen Kugel in einem Land, das vom Mars aus gesehen nicht größer ist als eine Läuseleber, rennen winzigste affenartige Wesen über verschiedene grasbewachsene Flächen von der Größe eines Bruchteils eines Bruchteils einer Läuserleber hinter einem weißen Objekt her, dessen Größe mangels Größe von den Wissenschaftlern noch nicht ermittelt werden konnte. Man nimmt an es ist rund.
Was aus der Ferne so unwichtig erscheint wie das Niesen einer Fliege im Gewächshaus eines ostthüringischen Gartencenters, brachte immerhin 1.500 Essener dazu, sich auf den Weg nach Braunschweig zu machen. Auch Radio Essen ist live dabei - mit Augen und Stimme in Braunschweig, die Ohren verteilt auf Läuseleberorte wie Köln, Babelsberg und Leipzig.
Mitte der ersten Halbzeit ist das Leben im Läuseleberland noch in Ordnung, zumindest für einen RWE-Fan. Essen führt in Braunschweig 2:0. Da kratzt es niemanden, dass auch Werders Amateure 2:0 in Köln führen. Nur den Ausgleich darf sich RWE bei dieser Konstellation nicht fangen. Um 14 Uhr 34 schießt Braunschweig das 1:2.
Zur Halbzeit ist RWE immer noch Regionalligist, aber warum schießt Köln keine Tore? Um aufzusteigen müssen sie gewinnen. Wenn dort wenigstens der Ausgleich fiele, könnte sich RWE ein Unentschieden leisten.
Zweite Halbzeit. In Leipzig fallen andauernd Tore, aber in Köln fallen keine. RWE hält sich.
15 Uhr 21. Radio Essen meldet sich mit einem Elfmeter aus Braunschweig. Schluck. Elfmeter für Braunschweig. Nochmal Schluck. Sicher verwandelt. Doppelplusschluck. Keine Tore in Köln. In Leipzig steht es 3:3. Wenn die verlören, wär RWE gerettet.
15 Uhr 30. Keine Tore in Köln. Leipzig 3:3. RWE kuckt sich die Regionalliga von unten an.
15 Uhr 37. Köln schießt das 1:2.
15 Uhr 40. Köln schießt das 2:2. RWE ist wieder in der Regionalliga.
15 Uhr 41. Babelsberg schießt das 1:0 gegen Düsseldorf. Damit ist Düsseldorf weg vom Fenster, aber Köln hat keine Chance mehr aufzusteigen. Die werden sich doch jetzt nicht hängen lassen?
Es ist Samstag, der 09. Juni 2001, 15 Uhr 44. Der Ball springt auf die Latte des Braunschweiger Tores, tropft ins Spiel zurück auf Sascha Wolfs Kopf und ... "Tor! Tor! Tor! Tor!" Danke Herbert. 1.500 mitgereiste RWE-Fans explodieren in Braunschweig. Tja, das Leben an den rasenbewachsenen Flächen im Läuseleberland auf der kleinen blauen Kugel ist nicht ungefährlich.
Wie lange noch? In Köln schießt Werder das 3:2. Wenn jetzt noch der Ausgleich fällt ... WIE LANGE NOCH?
15 Uhr 49. Zitat: "Aus. Aus. Aus. Das Spiel ist aus." Danke Herbert. RWE bleibt in der Regionalliga - vermutlich.
Früher war bekanntlich alles besser. Der Ball war rund, ein Spiel dauerte 90 Minuten und ein 3:2 war ein 3:2 war ein 3:2 war ein 3:2. Heute, wo die grasbewachsenen Flächen im Läuseleberland von geldscheinabsondernden Fernsehkameras regiert werden, gibt es selbst nach einem 3:2 noch eine Verlängerung - eine Verlängerung sponsored by Sportwelt.
Das Sportwelt-Modell ist eine Mischung aus Batman und Graf Dracula. Zuerst eilt Batman einem notleidenden Traditionsverein mit der Millionen-Kraft zu Hilfe, dann saugt Graf Dracula, wenn die Erholung eingetreten ist, die Geldscheinabsonderung der Fernsehkameras aus dem Verein. So war das bisher. Doch am Freitag abend rief ein Vertreter von Batman-Dracula Inc. bei einigen Vereinen der Regional- und Oberliga an, um mitzuteilen, dass eine zugesagte Bürgschaft in Millionenhöhe nicht geleistet werden kann. Damit wird für RWE die Bürgschaft zur Würgschaft, denn bis zum Abgabetermin der Lizenzunterlagen am Dienstag abend müssen 3,5 Millionen DM aufgetrieben werden. RWE-Präsident Hempelmann gibt sich dennoch gelassen. Die Gespräche liefen bereits und vielleicht wäre ja auch eine Terminverschiebung beim DFB drin, weil mehrere Vereine recht kurzfristig ausgebürgt wurden.
Noch weiß niemand wie die Verlängerung ausgehen wird, aber sicher werden auch für die nächste Saison wieder ein paar Söldner gefunden, die die Kasse plündern, die Herzen der RWE-Fans über dem offenen Feuer rösten und sich über die mangelnde Unterstützung von den Rängen beklagen. Glücklicherweise hab ich für diese Wiederholungstäter keine Zeit mehr. Ich verabschiede mich mit diesem Beitrag und sag danke an alle, die mir geschrieben haben, weil ihnen die eine oder andere Geschichte gefallen hat. Macht's gut,
hape
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Nachtrag: Sowohl die Verlängerung sponsored by Sportwelt als auch meine Prophezeiung überstand RWE schadlos. Tatsächlich lag ich ziemlich daneben, denn mit neuem Trainer und verstärkter Mannschaft spielt RWE in der nächsten Saison bis zur buchstäblichen letzten Minute um den Aufstieg mit.
 
Zwei Jahre Rot-Weiß
 
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Teil 4: fast verhungert
 
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